Beziehungen fördern, Netzwerke stärken, Gemeinschaft neu denken“ – Nachbericht Vernetzungstreffen Dritte Orte

Am 28.11.2024 fand das Vernetzungstreffen „Dritte Orte“ unter dem Motto „BE(RE)-Connected – Wissen, was läuft!“ statt. Rund 80 Teilnehmende kamen zusammen, um in Workshops, Gesprächen und kreativen Formaten über die Zukunft von Kirche, Gemeinschaft und „Dritte Orte“ zu diskutieren.

Das Treffen stellte die Frage nach neuen Formen von Gemeinschaft in den Mittelpunkt und bot Raum für Austausch, Vernetzung und gemeinsame Visionen.

Nach einer herzlichen Begrüßung durch Pröpstin Christina-Maria Bammel begann der Nachmittag mit einem interaktiven Kennenlernspiel, das die Teilnehmer:innen in Bewegung und ins Gespräch brachte.

In den darauffolgenden sechs parallel stattfindenden Workshops wurden unterschiedliche Potenziale von „Dritten Orten“ beleuchtet:

Workshop Dritte Orte als Netzwerk

Johannes Krug, Superintendent Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf und Gerold Vorländer, Leiter Mission in der Berliner Stadtmission, hinterfragten die klassische Vorstellung von Gemeinschaft und diskutierten, wie Kirche als flexibles Netzwerk wirken kann.

Machtverzicht und persönliche Beziehungen leben

Die Diskussionen betonten die Notwendigkeit eines Machtverzichts und die Hinwendung zu persönlichen Beziehungen. Es braucht eine lernende Gemeinschaft, die auf den Aktionen und dem Engagement der Handelnden basiert. Beziehungen stehen im Mittelpunkt – sie sind der Schlüssel zu resilienten Netzwerken und nachhaltigen Veränderungen.

Ein weiteres zentrales Thema war die Überwindung von Einsamkeit und das Aufbrechen des sogenannten Zufriedenheitsparadoxons, das oft Stillstand verursacht. Durch die Aktivierung von Ressourcen und die Förderung von Win-Win-Beziehungen können neue Dynamiken geschaffen werden. Besonders die Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie bietet große Chancen, um gesellschaftliche Wirkung zu entfalten, auch wenn strukturelle Unterschiede bestehen.

In der heutigen komplexen Welt sind Netzwerke widerstandsfähiger als Machtstrukturen. Dafür ist jedoch ein Haltungswandel notwendig, insbesondere in der Führung: Leitung sollte weniger auf Kontrolle basieren und vielmehr als Makler oder Moderator agieren. Es gilt die Regel: je weniger Macht, desto größere Klarheit.

Die Herausforderungen wurden ebenfalls deutlich: Viele Menschen sind so beschäftigt, dass der Raum für gemeinschaftliche Lösungsfindung fehlt. Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem Wesen Dritter Orte als Orte der Begegnung und den oft formalisierten Strukturen der etablierten Kirche, die auf Verwaltung und Dokumentation fokussiert ist.

Die Vision: Kirche sollte zu einem Ort werden, der Beziehungen in den Mittelpunkt stellt und durch einen Machtverzicht echte Gemeinschaft und nachhaltige Netzwerke fördert.

Workshop Dritte Orte auf Schatzsuche

Oliver Igel, Bezirks-Bürgermeister Treptow-Köpenick und Theresa Rinecker, Generalsuperintendentin Sprengel Görlitz, führten einen spannenden Austausch über die Herausforderungen und Chancen dieser Orte in der Zivilgesellschaft.

Kirche hat EIN Gesicht und geht an andere Orte

Die Kirche kann ein Gesicht/ ein Profil haben und sich damit an neue, andere Orte bewegen. Dritte Orte sind weit mehr als bloße Treffpunkte: Sie schaffen Räume, in denen Menschen sich angenommen fühlen – unabhängig von Mitgliedschaften. Diese Orte sprechen die Seele an und benötigen institutionelle Unterstützung, um zu wachsen. Gleichzeitig verändert sich die Kirche, wenn sie sich an andere Orte begibt. Auch Dritte Orte brauchen ein klares Profil, repräsentative Personen und eine selbstbewusste Kennzeichnung.

In der Zusammenarbeit mit Kommunen, Gemeinden und Bezirken kann die Kirche als Partner agieren. Hierzu ist es wichtig, gemeinsame Themen zu finden, die Potenziale von Räumen zu prüfen und eine lokale Agenda zu entwickeln. Von Zweiten Orten wie Schulen oder Krankenhäusern lassen sich viele wertvolle Ansätze übernehmen. Dritte Orte können die Spannung zwischen Einsamkeit und Beisammensein adressieren, denn wie es heißt bei Janosch: „Wenn man einen Freund hat, braucht man sich vor nichts zu fürchten.“

Beispiele für Dritte Orte umfassen vielfältige Ansätze wie ein Imkerprojekt, Bibliotheken, die Alte Försterei, Friedhofscafés, interkulturelle Gärten und mobile Tresen. Diese Orte zeigen die Bandbreite an Möglichkeiten, wie Gemeinschaft geschaffen und gestärkt werden kann.

Workshop Dritte Orte auf Expedition

Léon Gross, Transformationsforscher, und Johannes Nehlsen, Geschäftsführer Wertestarter erkundeten, was alles als „Dritter Ort“ funktionieren kann und wie diese Vielfalt genutzt werden kann.

Einfach mal machen und das nutzen, was da ist

Die Diskussionen haben gezeigt, dass Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen bestehen: im System selbst (Beharrungstendenzen, zähe Prozesse, feste Strukturen), bei den Ressourcen (finanziell und personell), im Angebot der Kirche (starke Service- und Dienstleistungsorientierung, Perfektionismus) und in der Kommunikation (eingefahrene Gewohnheiten und Routinen).

In Gruppen setzten sich die Teilnehmer:innen mit drei zentralen Fragestellungen auseinander:

1. Wie kann es gelingen, einfach mal zu machen?

Es braucht mehr Freiraum für Experimentierfreude, Fehlertoleranz und spielerisches Ausprobieren. Ein Perspektivwechsel hin zu „klein denken“ und „einfach machen“ könnte dazu beitragen, den Perfektionismus abzulegen. Die „Kühlschrankmetapher“ stand hierbei für die Idee, mit dem zu arbeiten, was da ist – statt auf das perfekte Konzept zu warten. Auch die Förderung von Gemeinschaft durch Essen und Trinken wurde als niederschwelliger Ansatz hervorgehoben.

2. Wie kann es gelingen, Einzelne oder Teams zu entlasten?

Ein zentraler Ansatzpunkt ist, Entscheidungsverantwortung zuzulassen und zu stärken, wobei auch Scheitern und Nachbessern als Teil des Prozesses akzeptiert werden. Der Wechsel von Konkurrenzdenken zu Ergänzungsdenken wurde als Schlüssel gesehen, ebenso wie die Umkehrung der Begründungslogik: Alle Beteiligten sollten die Möglichkeit haben, ihre Arbeit zu rechtfertigen und zu begründen, nicht nur eine Leitungsperson.

3. Wie kann es gelingen, eigene Gewohnheiten abzulegen?

Hier wurden kleine, realistische Schritte als wichtig hervorgehoben. Bewegung, Neugier und Begeisterung können helfen, eingefahrene Routinen zu durchbrechen. Der Fokus sollte auf Balance zwischen sozialen und räumlichen Bedürfnissen liegen. Es geht darum, Freiräume zu schaffen, in denen Austausch und Begegnung mit dem Unbekannten oder Ungewohnten möglich werden.

Besonderer Raum wurde dem Thema Kooperationen gegeben. „Einfach mal machen“ bedeutet auch, sich auf Akteur:innen einzulassen, die außerhalb des kirchlichen Kosmos agieren. Der Mut, ungewöhnliche Allianzen zu schmieden, wurde als essenziell betrachtet, um neue Ideen und Ansätze voranzutreiben.

Workshop Dritte Orte als Adapter

Jakob Werlitz, Agentur bestfriends, und Clemens Bethge, Oberkonsistorialrat der EKBO, diskutierten innovative Ansätze für Beziehungen ohne formale Mitgliedschaft oder Rituale.

Alles braucht seine Zeit, um Menschen zu erfüllen – es geht um Beziehungen

Im Gespräch wurden zwei zentrale Aspekte hervorgehoben: Zeit und (religiöse) Bedürfnisse. Verbundenheit entsteht durch zwei Schlüsselmechanismen:

  1. Die Erfüllung von Bedürfnissen: Menschen fühlen sich an einem Dritten Ort willkommen und gesehen.
  2. Gemeinschaft von Gleichgesinnten: Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen finden zusammen und bilden Beziehungen.

Damit Menschen, die einen Dritten Ort gestalten, die Bedürfnisse anderer überhaupt erkennen können, ist Zeit entscheidend – Zeit für Gemeinschaft, Kennenlernen und Austausch. Ein konkreter Vorschlag war die Einrichtung eines (monatlichen?) Sabbaticals für kirchliche Mitarbeitende, um genau diesen Raum für Reflexion und Beziehungsarbeit zu schaffen.

Der Tenor war klar: Für Dritte Orte braucht es Zeit, finanzielle Ressourcen und engagierte Personen, die diese Orte mit Leben füllen können.

Weitere wichtige Aspekte, die diskutiert wurden (nicht abschließend), waren:

  • Abschaffung der Dimissoriale: Überlegungen, ob diese Regelung noch zeitgemäß ist.
  • Mitgliedschaft auf Zeit: Die Möglichkeit, eine zeitlich begrenzte Mitgliedschaft rechtlich und steuerrechtlich zu verankern.
  • Taufpatenschaft/Zeugenschaft: Auch für Nicht-Mitglieder zugänglich machen, um neue Verbindungen zu schaffen.
  • Parochiestrukturen überdenken: Eine flexiblere Organisation prüfen, die sich besser an den Lebensrealitäten der Menschen orientiert.
  • Zielgruppenorientierung stärken: Kirchliche Orte – einschließlich Ortsgemeinden und Parochien – gezielt auf spezifische Zielgruppen wie Familien oder junge Menschen ausrichten. Dies sollte auch das Ambiente, die Kommunikation und Angebote einbeziehen.

Der Fokus liegt darauf, Kirche und ihre Orte an aktuelle Bedürfnisse und Erwartungen anzupassen, um sie inklusiver, relevanter und einladender zu gestalten.

Workshop Dritte Orte als Erzählräume

Katrin Rudolph, Superintendentin des Kirchenkreis Zossen-Fläming, und Dorothee Land, Leiterin des Zentrums für Dialog und Wandel, stellten den Dialog in den Mittelpunkt: Wie können wir wieder intensiver ins Gespräch kommen?

Superpower-Modus – Energie und Leidenschaft im Alltag halten

Im Gespräch ging es unter anderem um die Relevanz der Kirche für Bürger:innen und die Zivilgesellschaft. Auch die Wahrnehmung, wie Kirche von anderen betrachtet wird, wurde diskutiert.

Gemeinsam wurden die Themen, Ressourcen und Vorhaben von Gemeinde in den Blick genommen und sich mit der Frage beschäftigt, bei welchen Themen sich Kirche mit Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft verbinden soll.

Die Gruppe definierte hier mehrere Themenfelder, darunter Lebenshilfe und Seelsorge, Kulturräume und Erinnerungskultur, Kinderrechte, Demokratie und Menschenrechte, Klimaschutz und Klimagerechtigkeit, Diskussions- und Fehlerkultur

Bei den vorhandenen Ressourcen von Gemeinden, wurde unter anderen Räume, Netzwerke, ehrenamtliches Engagement und ein offenes, herzliches Miteinander genannt. Ein zentrales Ergebnis war der „Superpower-Modus“: die Idee, Energie und Leidenschaft im Alltag durch Kooperation und innovative Formate zu fördern.

Zum Abschluss wurden konkrete nächste Schritte definiert, etwa die Öffnung von Kirchenräumen, neue Veranstaltungsformate wie Gesprächsrunden und intergenerative Treffen, sowie eine stärkere digitale Präsenz. Das Ziel soll sein Kirche als Ort der Begegnung, Unterstützung und Sinnstiftung zu stärken und auf gesellschaftlich relevante Themen zu reagieren und diese aktiv mitzugestalten.

Workshop Dritte Orte als Schutzräume

Mareike Witt, Projektleitung Minecraft Bibellabor, und Collo Labatt, Leitungsteam RE.MIX, sprachen darüber, wie Dritte Orte als Schutzräume für junge Menschen gelingen.

Perspektivwechsel – Jeder Mensch in Kirche wird vom Konsumenten zum Produzenten

Improvisation beginnt dort, wo es Raum für Flexibilität gibt. Dann entsteht Magie!

Das Improvisationstheater „Die Gorillas“ mit Leon Düvel und Barbara Kehr, unter der Moderation von Heike Sohna (Sequoya), griff Ergebnisse, Schwerpunkte und Herausforderungen der Workshops auf. Diese interpretierten sie kreativ und humorvoll in ihren Darbietungen.

Die Mitglieder des Ausschusses Dritte Orte, Michael Raddatz und Nadin Schmolke, führten durch die Schlussrunde, in der sie Eindrücke und Erkenntnisse des Tages zusammentrugen:

Krise als Chance – Veränderung passiert sowieso, Hauptsache wir gestalten sie – Mitgliedschaft auf Zeit – Dritte Orte wie ein Zug, man schaut hinaus, kann anhalten, wieder einsteigen, Menschen begegnen und ist in Bewegung – nichtpflichtige Aufgaben – Zwitterorte – raus aus der Spirale des Jammerns – Orte können auch unterschiedlich sein – Spielwiese – Verbundenheit ohne Rituale – Dritte Orte sind Orte für die Seele – Lerngeschichten – einfach mal was nicht machen – Gestaltungsräume zulassen – Kleine Schritte denken und gehen – Zusammen Ideen entwickeln und im Vertrauen machen lassen.

Der Tag endete um 18:00 Uhr mit dem Gefühl, dass das Vernetzungstreffen ein inspirierender Auftakt für zukünftige Kooperationen und Projekte war.

Das Vernetzungstreffen hat gezeigt, wie viel Potenzial in der Idee der „Dritten Orte“ steckt – als Räume für Begegnung, Vielfalt und neue Formen der Gemeinschaft. Es hat aber auch gezeigt, wie viele kompetente und motivierte Menschen in Kirche unterwegs sind. Danke an alle Teilnehmer:innen für das Einbringen von Ideen, Impulsen und Expertise.

Der Austausch hat Perspektiven eröffnet, die bestimmt über den Tag hinauswirken. Das Motto „BE(RE)-Connected“ wurde von den Teilnehmer:innen mit Leben gefüllt: Wissen, was läuft – und gemeinsam Zukunft gestalten.

 

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