»Freiräume gewinnen« – ein Thema, das uns im AKD alle betrifft, aber ganz unterschiedlich erlebt und umgesetzt wird. In diesem Gespräch teilen sieben Kolleg:innen ihre persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen.
Was bedeutet es, Freiräume im Arbeitsalltag zu gewinnen? Wie lassen sich diese schaffen und gestalten, gerade in einem so vielfältigen Arbeitsumfeld wie dem AKD? Der Gewinn von Freiräumen in unserem Arbeitsumfeld ist vielfältig. Sei es durch technische Umstellungen, strukturelle Veränderungen oder persönliche Entscheidungen.
»Kannst du ein Beispiel aus deinem Berufsalltag nennen, wo du bewusst Freiräume gewonnen hast? Wie bist du dabei vorgegangen?«

Bernd beginnt bei einem ganz konkreten Puzzlestück bei der Gewinnung von Freiräumen: »Viele Beratungen benötigen ausführliche Vorgespräche hinsichtlich Auftrag und Design der Beratung. Bis zur Pandemie war es Standard, die Gespräche präsentisch vor Ort zu führen, obwohl wir im AKD seit 2015 auch die technische Ausstattung für Online-Formate haben. Das hat sich zum Glück verändert und meine Reisezeiten und -kosten erheblich vermindert. 99 Prozent der vorbereitenden Gespräche finden online statt.« weiterlesen
Und er ergänzt ein weiteres Beispiel für einen bewussten Bruch mit Traditionen in Kombination mit dem Einsatz neuer technischer Möglichkeiten für die Gewinnung von Freiräumen: »Obwohl z. B. 1.000 Exemplare der ‚20 Schritte zur GKR-Wahl‘ übrig blieben und die Steuerungsgruppe für die letzte Wahl entschied, keine Broschüren mehr zu drucken, begegnen mir im Themenfeld GKR-Arbeit immer wieder die traditionellen Gewohnheiten nach Printmedien, so auch für ein gedrucktes Handbuch. Mit beharrlichem Verweis auf Verringerung des Papierverbrauchs und Vermeidung von Druckkosten wurden die Maßnahmen schließlich umgesetzt.«
Antje macht deutlich, wie wichtig es ist, Freiräume zu gewinnen: »Das ER-LEBEN von beruflichen Freiräumen half mir, die nötige Energie für Veränderungen im Arbeitsfeld und den Aufbau des Schwerpunkts Gemeinwesen zu haben. Der Steuerungsprozess Evangelische Familienbildung/LAG Berlin führte zur Option, die Verwaltung der kursleitenden Honorarkräfte in die Verantwortung der Kirchenkreise zurückzugeben und EKBO-weite Themen der Familienbildung zu stärken. Das Ergebnis: Die Auflösung der Kooperationsvereinbarung mit dem AKD zum 31.12.2024 und der Aufbau einer EKBO-weiten fachlichen Vernetzung und Begleitung, auch im Hinblick auf Themen wie Demokratieförderung und sozialräumliche Vernetzung.«
Doch der Weg zu mehr Freiräumen ist nicht immer einfach …
»Welche Herausforderungen sind dir begegnet, als du versucht hast, Freiräume im Arbeitsumfeld zu gewinnen? (Wie) hast du diese Herausforderungen überwunden?«

»Die wertvollsten Impulse für meine Arbeit habe ich bekommen, wenn ich mir in der Vergangenheit den Freiraum genommen habe, mich mit neuen Kolleg:innen im AKD oder mit externen Kooperationspartner:innen zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Und das ist nicht immer leicht, weil man ja vorher erst einmal die zusätzlichen Zeitressourcen sieht, die man dafür ‚freiräumen‘ muss. Da steht das eine ‚es ist aber wichtig‘ einem anderen ‚es ist aber wichtig‘ gegenüber.«, so Christianes Erfahrung. weiterlesen
Anne ergänzt: »Meine größte Herausforderung ist, mit meinen eigenen Ansprüchen und Unsicherheiten umzugehen. Welche Absage einer Anfrage darf ich mir rausnehmen? Auf welchem Level ist ein Beitrag ‚gut genug‘? Welchen Freiraum nehme ich mir, eigene Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen mit dem Risiko, dabei anzuecken? Ich bin dankbar für unsere Struktur in der Weekly-Runde, in der ich solche Unsicherheiten ausdrücken kann und Resonanz von verschiedenen Kolleg:innen bekomme.«
Auch im Bereich der Familienbildung gab es Herausforderungen, wie Antje berichtet: »Seit meinem Dienstbeginn im Arbeitsbereich Familienbildung und Gemeinwesen im Oktober 2022 waren aktuelle fachliche Themen und Bedarfe nach Beratung in dem bereits durch die pandemische Entwicklung und personelle Veränderungen reduzierten Kreis der Ansprechpersonen weniger im Fokus. Das Netzwerk der Ev. Familienbildung Berlin erlebte ich als in sich sehr geschlossen und auf sich zentriert. FREIRÄUME wurden Schritt für Schritt dadurch ermöglicht, den Kreis der Akteur:innen in der Familienbildung und im Gemeinwesen bewusst zu erweitern und proaktiv zusätzliche Kontakte zu knüpfen – besonders im Arbeitsfeld Gemeinwesen und in Brandenburg.«
Henrike reflektiert: »Manchmal fühlt es sich an, als wären wir in einem Wettkampf des Dauerbeschäftigtseins gefangen. Die Standardreaktion bei der Terminfindung lautet: ‚Ich weiß nicht, ob ich das noch unterkriege …‘ Dies löst oft ein Pingpong aus, in dem jede Person teilt, wie viel sie zu tun hat, was die Stimmung weiter verschlechtert und wertvolle Zeit verschwendet. Zu selten stellen wir uns die Fragen ‚Was ist JETZT dran?‘ und ‚Wo verspüre ich Energie?‘ – als erste Orientierung für Priorisierung.«
So schön es auch klingt: »Freiräume gewinnen«. Der Prozess ist nicht selten mit inneren und äußeren Auseinandersetzungen und Unsicherheiten verbunden. Ein Balanceakt zwischen inneren Ansprüchen und äußeren Erwartungen.
Doch es lohnt sich, denn Freiräume eröffnen nicht nur neue Möglichkeiten für die alltägliche Arbeit, sondern auch für größere Projekte und Initiativen:
»Kannst du ein Projekt oder Vorhaben nennen, das besonders von gewonnenen Freiräumen profitiert hat?«

Aline erzählt: »Seit gut dreißig Jahren bietet das Bildungsformat der Religionsphilosophischen Schulprojektwochen jungen Menschen Freiraum, um Menschen verschiedener Religionen zu begegnen und sich mit ihren Lebens- und Glaubensfragen auseinanderzusetzen. Ihre Positionen kreativ durch Text, Bild oder Darstellendem Spiel auszudrücken. Dieser Freiraum setzt sich von dem gewohnten Schulalltag ab und stellt auch eine Herausforderung für die Schüler:innen der 10. bis 12. Jahrgänge dar. Denn der Zustand, in dem sie frei von Leistungskontrolle reflektieren und nachdenken können, ist im Schulalltag selten.« Oft braucht es Freiräume, aus denen heraus wieder neue Freiräume wachsen können. Dass die EKBO solche Freiraum-Projekte fördert, ist ein wichtiges Element zeitgemäßer Bildungsarbeit. weiterlesen
Christiane ergänzt weitere konkrete Beispiele, die über den Kern der eigenen evangelisch-landeskirchlichen Klientel hinausgehen: »Bei dem Besuch des opentransfer Barcamps in Cottbus habe ich wirklich neue Aspekte der Bedeutung von Begegnungsorten kennengelernt. Der Austausch mit einem katholischen Kollegen in einer Arbeitsgruppe des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement mündete in einer tiefergehenden Betrachtung und einer Publikation zum Thema Einsamkeit im Alter (und der Betrachtung, welche Rolle Ehrenamt spielen kann, gegen Einsamkeit zu wirken).«
Und auch Antje hat im Bereich der Familienbildung Freiräume genutzt, um neue Kooperationen zu entwickeln: »Im Arbeitsjahr 2024 hat die evangelische Aktionsgemeinschaft Landesarbeitskreis Berlin-Brandenburg e.V. davon profitiert, indem über den Vorstandsvorsitz die Teilnahme an Gremien wie den Familienbeirat Brandenburg und das Landesnetzwerk Familie Brandenburg möglich wurde. Durch die Mitarbeit an gemeinsamen Projekten entstehen neue Formate zum Nutzen der Kirchenkreise und ihrer Gemeinden, der Menschen in und außerhalb unserer Kirche. Gerade im Arbeitsfeld Familie wachsen nach der Gewinnung von Freiräumen außerdem Querschnittsthemen mit dem Bereich Arbeit mit Kindern und Familien, aber auch Gemeinwesen und Gemeindepädagogik – konkret die Idee der ‚ländlichen Kümmerer‘ und ‚Allianzen für Beteiligung‘.«
Eine besondere Form des Freiraums und ein zentrales Element der Diversitätsarbeit sieht André in sogenannten Empowermenträumen: »Orte an denen Menschen, die als Minderheit wahrgenommen werden oder häufig Ausgrenzungserfahrungen machen, sich selbst einen Raum aneignen, um in einem sicheren Umfeld über ihre Erfahrungen und Bedürfnisse zu sprechen und sich darüber auszutauschen.
Hierfür braucht es umgekehrt immer auch Verbündete, insbesondere in Machtpositionen. Diese sollten die Ideen und Anliegen, welche in Empowermenträumen geäußert werden, aufgreifen, übersetzen, vermitteln und sich dafür einsetzen, dass diese zukünftig im Alltag und den Strukturen berücksichtigt werden.
All dies bietet die Chance, bestehende Störungen und Barrieren in der Zusammenarbeit zu erkennen und abzubauen, um eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, bei der marginalisierte Personenkreise stärker in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden.«
Freiräume ermöglichen uns also, die Fühler nach außen zu strecken und den Radius unserer Inspirationsquellen sowie unseres Wirkens zu erweitern. Aber auch für das Innenleben des AKD sind Freiräume unerlässlich:
»Stell dir vor, du könntest die Zukunft des AKD gestalten: Wie würde ein idealer Arbeitsalltag aussehen, in dem jeder genügend Freiräume hat? Welche Veränderungen wären notwendig, um diese Vision zu realisieren?«

»Wenn ich die Augen schließe und versuche, mir einen idealen Arbeitsalltag im AKD vorzustellen, dann sehe ich uns zunächst im neuen Bürohaus. Hier ist die Zentrale mit Arbeitsräumen, Pflanzen und Dachterrasse, in der sich alle Mitarbeitenden wohlfühlen. Die Räume sind für die unterschiedlichsten Arbeitsbedarfe ausgestattet. Die Internetverbindung steht. Wir arbeiten von unterwegs wie von zu Hause.« weiterlesen
In dieser Vision von Aline spielt nicht nur die physische Arbeitsumgebung eine Rolle, sondern auch die Kultur der Zusammenarbeit: »Die Möglichkeiten der Interaktion, des Miteinander Denkens, Konzipierens, Verwaltens und Organisierens sind vielfältig und innerhalb des AKD selbstverständlich. Wir Kolleg:innen zeigen gegenseitiges Interesse, unterstützen und beraten uns. Wir identifizieren Themen und Anliegen, die in unseren Arbeitskontexten obenauf liegen, und arbeiten zusammen, wenn es Überschneidungen gibt.«
Doch auch strukturelle Veränderungen sind notwendig, um solche Freiräume zu schaffen, erinnert Christiane: »Mir hat immer gut gefallen, dass es ein Verständnis im AKD gab (und gibt?), dass ein gewisser Prozentsatz der Arbeitszeit unverplant und für Unvorhergesehenes vorgehalten werden sollte. In der Realität war das in den vergangenen Jahren schwierig.«
Bei all diesen Themen spielen nicht zuletzt Führungskräfte eine entscheidende Rolle, um Freiräume zu schaffen und zu fördern.
»Welche Rolle spielen Führungskräfte dabei, eine gesunde Balance zwischen Freiräumen und Struktur zu fördern? Wie erlebst du das in deinem Team bzw. im AKD?«

Anne: »Aus meiner Sicht ist psychologische Sicherheit ein entscheidender Faktor, um das Entdecken, Schaffen, Gestalten und Ausfüllen von Freiräumen zu ermöglichen. Die Verantwortung für diese psychologische Sicherheit liegt meiner Meinung nach nicht zuletzt bei den Führungskräften. Unterstützende Strukturen zu etablieren, spielt hierbei eine wesentliche Rolle.
Die Jahresgespräche empfinde ich als ein wichtiges Instrument, um Transparenz zu fördern, Feedback zu erhalten und die persönliche Weiterentwicklung in den Fokus zu rücken. Ich würde mir wünschen, dass diese im AKD einen höheren Stellenwert erhalten und möglicherweise durch ein weiteres Format ergänzt werden.
Meines Erachtens können die Freiräume, die das AKD schenkt, verunsichern und beflügeln. Irritieren und bestärken. Je nach eigener Persönlichkeit, Biografie, Arbeitsweise und Wertegerüst. Idealerweise gibt es von Führungskräften getragene, flexible Strukturen, um dem zu begegnen.«
»Im AKD ist es gewünscht, dass die Studienleitenden in agilen Teams auf die unterschiedlichen und sich verändernden Bedarfe und Anfragen flexibel reagieren. Dank des Vertrauensvorschusses unserer Leitung nutzen wir Freiräume in Zweierteams oder wechselnden Arbeitsgruppen, um interprofessionell Bedarfe zu erfassen und fachbereichsübergreifend Bildungsangebote und -formate zu entwickeln.«
So bringt André einen Schatz unserer Arbeit im AKD auf den Punkt.
Gemeinsame Reflexion – Ein Fazit
Die Vielfalt der Perspektiven zeigt, dass der Gewinn von Freiräumen im AKD auf ganz unterschiedlichen Wegen geschieht – durch digitale Transformation, persönliche Entscheidungen oder strukturelle Veränderungen. Doch eines verbindet alle: Freiräume schaffen nicht nur Effizienz, sondern auch Raum für Kreativität, Reflexion und persönliche sowie fachliche Entwicklung. In diesen Freiräumen liegt das Potenzial, dass wir AKD-Mitarbeitenden unsere individuellen Stärken entwickeln und das AKD als Ganzes zukunftsfähig gestalten können. Zum Beispiel durch neue Ideen oder innovative Lösungen, die nur in einem unterstützenden Umfeld wachsen.
»Freiräume können verunsichern und beflügeln. Es ist an uns, sie bewusst zu gestalten und mit Leben zu füllen.«
André Becht, Aline Chille, Antje Klambt, Christiane Metzner, Anne Muirhead, Bernd Neukirch und Henrike Pfannenberg