Corona und wie weiter – Zeit für eine Zwischenbilanz?

Liebe Leser*innen, liebe Partner*innen des AKD,

was nehmen Sie aus der Zeit des coronabedingten Stillstands mit in die Ferienzeit oder, wer die Möglichkeit hat, in den Urlaub?

Was haben Sie am Beginn der Pandemie gespürt, gedacht, erlebt? Was ist davon noch bewusst, aktuell, im Blick?

Für manche, so scheint es, geht es vor allem darum, so schnell wie möglich wieder eine Normalität zu erlangen, die der vor dem Lockdown ähnelt. Bei Menschen, die existenziell von rapiden Einnahmeverlusten betroffen sind oder Angehörige in Pflege oder Krankenhaus haben, ist das voll verständlich.

Andere haben sich noch eine Nachdenklichkeit erhalten, die sie zögern lässt, das Alte wieder unhinterfragt herbeizuschaffen. War es nicht so, dass der Ausbruch der Pandemie in eine Zeit fiel, in der in den meisten Bereichen des Lebens ein Tempo und eine Dichte herrschten, die uns den Atem zu nehmen drohten? Und dann die Erfahrung: Es geht! Von einem Tag auf den anderen bleiben Flugzeuge am Boden, stellen Schulen und Universitäten, Autofabriken und Kirchen, Gaststätten und Freizeitstätten etc. ihren Betrieb ein. Stillstand und Kontaktsperre. Aufatmen der natürlichen Umwelt und der Seele.

Zugleich aber auch: Wie in einem Brennglas treten Schwachstellen unserer hochentwickelten Gesellschaft zutage: die mangelnde Anerkennung der Pflege- und Gesundheitsberufe, der unzureichende Ausbau der digitalen Infrastruktur, die klassischen Strukturen der Arbeitsteilung im Beruf und zu Hause, manche ausgefallene Sitzung, die gar nicht fehlte … Und kaum gibt es Lockerungen, wieder das Aufleben des Lobbyismus in Interessensgruppen.

Auch wir im AKD waren erst geschockt, aus den Routinen herausgerissen, mussten Vorhaben absagen, das Berufsleben ins Mobile Office verlegen und mit dem häuslichen Umfeld teilen, digital arbeiten und über die Internetverbindungen klagen.

Aber schnell entstand wie in vielen Bereichen – Schule und Kirche, Ehrenamt und Beratung … – auch bei uns eine neue Kreativität, bisher unbekannte Möglichkeiten zu entdecken: Beratungsangebote digital umstellen, Handlungsempfehlungen für die Praxisfelder unter Bedingungen des Lockdown formulieren und kommunizieren, digitale Bildungs- und Kommunikationsformate erschließen, Materialien online anbieten, neue Formen der Zusammenarbeit im AKD und mit unseren Partner*innen in der Praxis praktizieren, intern fit machen, auch informell kommunizieren und in Verbindung bleiben trotz räumlicher Trennung. …  

Was bleibt und was bewegt uns weiter?

  1. Die Einsicht: Es gibt absehbar nur weiter ein Leben mit dem Corona-Virus, nicht ohne ihn und nicht nach ihm. Und alles, was geplant wird, steht unter einem großen Vorbehalt.
  2. Die Erfahrung: Angesichts existenzieller Herausforderungen kann die ganze Welt verantwortungsvoll innehalten. Das ist großartig und lässt hoffen, auch auf andere existenzielle Herausforderungen wie etwa den Klimawandel oder wenn die Demokratie in Gefahr gerät, gemeinsam verantwortungsvoll reagieren zu können.
  3. Die Erkenntnis: Die moderne Arbeitswelt ist viel variabler und bietet viel mehr Möglichkeiten zu individuellen Lösungen als bislang angenommen in dem Austarieren von stationär und mobil, digitalen Formen und direkter Begegnung. Das fordert uns heraus, zielgerichteter und ehrgeiziger unsere Praxis weiter zu entwickeln.
  4. Die Ernüchterung: Die Hauptlasten bei der Sorgearbeit im Blick auf Pflege und Kinderbetreuung, Zugang zu Internet und anderen Ressourcen sowie bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind weiterhin dramatisch ungleich verteilt. Und Kinder aus sozial schwachen Herkunftsbedingungen sind auch im Homeschooling eher benachteiligt und abgehängt.
  5. Die Spannung: Der Weg in die digitale Kirche hat einen großen Schub bekommen und scheint dennoch erst am Anfang. Neben Fragen nach einer Professionalisierung im Umgang mit digitalen Medien und Arbeitsformen stellen sich alte ethische, anthropologische, soziale, theologische Fragen ganz neu: Was ist Gemeinschaft? Wie gehen Taufe und Abendmahl, Konfirmation oder Beerdigung, Gottesdienst und Seelsorge digital? Was ist Gemeinde? Wozu noch eine Landeskirche mit Personenmeldewesen und Kirchensteuer? Wie geht das alles weiter und wohin?
  6. Die Frage: Wie bleiben wir gesund und was lernen wir aus der Krise? Wie schaffen wir die Verkehrswende, den Erhalt einer offenen Gesellschaft, das Aufhalten des Klimawandels? Wie können wir dazu beitragen, das Evangelium als befreiende, tröstende, das Gemeinwesen bereichernde und Gerechtigkeit vermehrende Kraft erfahrbar zu machen? Wie bleiben wir aufmerksam und sensibel für das, was wir zwischenzeitlich als Erkenntnisse gewonnen hatten?

Diese und weitere Themen beschäftigen uns über die Ferien und dann in der neuen Ausbildungssaison.

Denn vieles ist im AKD ohnehin immer in Bewegung, hat nun aber zusätzliche Impulse erhalten: Die Art und Dichte der Kommunikation innerhalb der Arbeitsbereiche und zwischen ihnen, die strukturenübergreifende Vernetzung und Zusammenarbeit auch ohne aufwändige Dienstreisen, Methodenvielfalt in hybriden Arbeitsformen mit der Frage: Was geschieht viel besser digital? Wie werden wir besser digital? Was braucht die direkte Begegnung? Und wie nutzen wir dies besser?

Wir haben zwischendurch schon einmal eine Zwischenbilanz gezogen und die Erkenntnisse in sieben Thesen zusammengefasst und diskutiert. Daraus haben wir vier Schwerpunktthemen zur Weiterarbeit identifiziert: Kirche ‚systemrelevant‘. Sorgearbeit gerecht. Arbeiten in Bildung, Beratung und Verwaltung digital. Arbeit im AKD verändern. Dazu wollen wir Kommunikationsangebote entwickeln und zum Diskurs einladen. Und auch im Projekt Innovation, Kommunikation, Projektmanagement wurde schon einmal bilanziert: In sechzig Gesprächen wurden Praktiker*innen aus unterschiedlichen Bezügen nach ihren Erfahrungen und Einschätzungen gefragt. Die Auswertung brachte neben den bekannten Themen wie Digitalität, die Begeisterung über die neue Kreativität im Lockdown und das Erschrecken über die ungleiche Verteilung der Sorgeaufgaben auch das Thema Angst hervor: Wohin wird das Leben auf der Erde, in unserem Land und unserer Kirche führen angesichts der globalen und lokalen Veränderungen und Gefahren? Was wird aus mir in einer drastisch sich verändernden Welt und Kirche?

Auch für diese Themen probieren wir neue Formate aus, etwa mit einer Videokonferenz-Reihe unter dem Titel ‚Reset Corona – wie weiter arbeiten?‘

Gleich nach den Ferien wird am Donnerstag, 20. August 2020, 12–13 Uhr zu einer neuen Folge eingeladen. Thema: Sorgearbeit (1) Arbeitsplatz Homeoffice.

Wir sind gespannt. Vor allem jetzt auf die eigene und auch Ihre Zwischenbilanz in der Ferienzeit. Schreiben Sie uns gern, was Sie bewegt!

Und gewinnen Sie Abstand von all diesen Fragen, die auch umtreiben können.

Eine gesegnete Zeit wünscht aus dem und im Namen des AKD
Matthias Spenn