Frauen ergreifen Raum und Zeit
Wie stark konnten und können wir Frauen unseren Raum und die Zeit nutzen? Ein Gedankenkarussell:
Es ist »alles relativ und liegt im Auge des Betrachters«, so wird gesagt. Auch schlagen nicht »alle Männer ihre Frauen« und es existiere »auch Gewalt durch Frauen gegenüber ihren Partnern«. »Die Frauen haben doch alle Möglichkeiten – sie wollen ja auch nicht Karriere machen.« »Kinder und Karriere geht halt nicht«. Das höre ich häufig, wenn ich mich oute, dass mir Frauenthemen am Herzen liegen und die erste Irritation vorübergezogen ist. Dies ein kleiner Auszug der plakativsten. Zu Frauen und Feminismus haben alle eine Meinung, wenige aber wirklich Wissen.
Zum Beispiel könnte man darüber nachdenken, dass die meisten Außenbereiche von Männern für Männer gestaltet wurden, seien es Parks oder die neuen öffentlichen Sportanlagen. Diese männliche Dominanz lässt sich in allen Bereichen finden und per Fakten und ganz »neutral« belegen. Weniger sichtbar, aber spürbar und wirksam sind die patriarchalen Strukturen in allen anderen Bereichen unseres Lebens.
Ist bei der Frauenfrage alles relativ? Der Ausdruck »es ist relativ« und Einsteins Relativitätstheorie haben einen gemeinsamen Grundgedanken: die Abhängigkeit von Perspektive und Bezugssystem. In der Alltagssprache bedeutet »es ist relativ«, dass eine Sache oder ein Urteil abhängig von Standpunkt, Kontext oder Vergleich ist. Ähnlich beschreibt die Relativitätstheorie, dass Zeit, Raum und Bewegung nicht absolut sind, sondern von der Position und Geschwindigkeit des Beobachters abhängen. Die spezielle Relativitätstheorie beschäftigt sich mit Objekten, die sich gleichförmig (also ohne Beschleunigung) bewegen. Einsteins große Entdeckung hier ist, dass die Zeit und der Raum nicht für alle Beobachter gleich sind. Dies ist natürlich sehr verkürzt dargestellt. Wichtig ist für uns, dass jede Masse den Raum und die Zeit um sich herum verformt – ähnlich wie eine schwere Kugel ein gespanntes Gummituch verformt. Je massiver ein Objekt ist, desto stärker ist die Krümmung, die es verursacht, und desto stärker ist die »Anziehung«, die wir als Schwerkraft wahrnehmen.

Mileva Maric studierte, wie ihr Ehemann Albert Einstein, Physik und Mathematik.
Einsteins Relativitätstheorie revolutionierte unser Verständnis des Universums – und somit auch das unserer Welt. Sie zeigte, dass Raum und Zeit flexibel sind, sich anpassen und durch Masse und Bewegung beeinflusst werden. Dies verändert unser Bild von Schwerkraft, Zeit und Realität grundlegend und ist bis heute eine der wichtigsten Grundlagen der modernen Physik. Also nichts ist einfach so relativ, sondern jede Masse – hier Mensch erst mal – verändert unsere Welt. Wenn diese Veränderung nun auch noch aktiv entschieden wird und der Mensch eine solche Wirkkraft und -macht hat, sind wir der Gerechtigkeit ein wenig näher. Wir beschneiden also die Welt, indem uns Frauen der Raum definiert und eingeschränkt und unsere Zeit durch unbezahlte Care-Arbeit weggenommen wird. Neben all den Fakten und Daten, die nun für alle Menschen zugänglich sind, würde ich mir wünschen, dass wir Frauen nicht aufgrund unserer Wut agieren (müssen), weil die Gerechtigkeit noch so weit entfernt ist und unser Potenzial sich nicht entfalten kann, sondern aufgrund der menschlichen Fähigkeit zu träumen und Utopien zu denken und mit unserer Freude am Wandel zu mehr Gerechtigkeit in Vielfalt in den gemeinsamen Diskurs zu treten. Diesen Diskurs zu erkämpfen, Veränderungen anzustoßen und Gerechtigkeit zu schaffen, das ist unser Anliegen, in diesem Raum Welt und in unserer Menschen-Zeit jetzt.
Da setzen wir in der Frauenarbeit an. Unermüdlich weisen wir immer wieder darauf hin, dass Frauen 50 % der Gesellschaft ausmachen und der Raum und die Zeit auch für uns und mit uns gestaltet werden müssen. Wir unterstützen das Ehrenamt durch die Begleitung der Weltgebetstags-Gottesdienste, wir stärken die Frauen im Politischen und in ihren Arbeitsfeldern in der Kirche und somit die Landeskirche durch die Frauenversammlung, den Theologinnenkonvent, dem Frauenkarriereförderungsprogramm und der Vernetzungsarbeit. Es gibt weiterhin viel zu tun.
Und wussten Sie eigentlich, dass Einstein wohl nicht alleine bei der Berechnung seiner Überlegungen zur Relativitätstheorie war, sondern eine sehr kluge Frau an seiner Seite rechnete? Wahrscheinlich nicht.

Dieser Artikel ist Teil des AKD-Arbeitsberichts 2023/2024.
Foto: Barbara Bezina – Canva | Hist. Aufnahmen: gemeinfrei