Predigt von Pfarrerin Althaus im Gottesdienst zum Int. Frauentag am 8. März 2025 in der Sophienkirche Berlin über Mk 7, 24 – 30 Die Syrophönizierin

Predigt im Gottesdienst zum Internationalen Frauentag am 8. März 2025 in der Sophienkirche Berlin

Pfarrerin Manon Althaus, Pfarrerin für die Frauenarbeit und Studienleiterin für Geschlechtergerechtigkeit im Amt für Kirchliche Dienste (AKD) der EKBO

Mk 7, 24 – 30 Die Syrophönizierin

24 Jesus stand auf und wanderte [fort vom See Genezareth und] weiter in das Gebiet der Hafenstadt Tyrus. Dort ging er in ein Haus hinein und wollte, dass niemand davon erfahre.
Doch er konnte nicht unbemerkt bleiben, 25 sondern sofort hörte eine Frau von ihm, deren kleine Tochter einen unreinen °Geist in sich trug. Die Mutter kam und warf sich vor Jesu Füßen nieder. 26 Die Frau war eine Griechin, sie stammte aus Syrophönizien. Sie fragte ihn, ob er ihre Tochter vom °Dämon befreie. 27 Da sagte er zu ihr: »Lass erst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und es den kleinen Hunden hinzuwerfen.« 28 Aber sie antwortete und sagte unerschrocken zu ihm: »°Lehrer, auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrümeln der Kinder.« 29 Da sprach er zu ihr: »Wegen dieser Antwort geh hin! Der Dämon hat deine Tochter freigegeben!« 30 Und sie ging weg in ihr Haus und fand das Mädchen, wie es auf dem Bett lag, befreit vom Dämon.

Markus steht auf. Innerlich bewegt.
Er denkt an seine Gemeinde: Wie sie leiden in dieser Nachkriegszeit. Der jüdisch-römische Krieg ist mit unendlich vielen Toten auf jüdischer Seite endlich Vergangenheit. Doch so vieles ist zerstört: Die Stadt und der Tempel in Jerusalem. Das Leben Vieler ist zerstört, und die Menschen stehen vor ungewisser Gegenwart und Zukunft: Hunger, Not, Elend, Traumata. Wie Dämonen hat das Elend die Menschen im Griff. Äußerlich gezeichnet von Hunger und Not, innerlich leer, ausgebrannt, paralysiert, die Erinnerungen traumatisch: Wie kann das Leben weitergehen? Und: Wie kann das Leben der nächsten Generation weitergehen?

„Tröstlich muss es sein, was ich aufschreibe“, murmelt er. „Tröstlich und voller Hoffnung! Die Gemeinde muss sich in dem wiederfinden, was ich über Jesus und seine Botschaft
aufschreibe.“
Und er setzt sich hin und schreibt für seine Gemeinde das Evangelium von Jesus auf. Tröstlich und hoffnungsvoll.
Steh auf, bewege dich! Erkenne, was die Dämonen sind und dann: Schüttel sie ab, die alten Dämonen!
Und er verbindet das Geschehen zur Zeit Jesu mit dem Geschehen der Zeit, in der seine Gemeinde lebt. 40 Jahre später.
Und so lässt er Jesus von Galiläa kommend nach Tyrus wandern.

Tyrus! Schon bei dem Namen „Tyrus“ zucken alle zusammen!
Die Menschen kennen Tyrus als reiche phönizische Handelsstadt am Mittelmeer. Ihr Reichtum ist auf Ausbeutung und ungerechten Handel gebaut. Die Folge: das galiläische Hinterland ist verarmt und die Menschen, die jüdische Bevölkerung leidet Hunger. Tyrus steht für Gewissenlosigkeit und Verantwortungslosigkeit anderen gegenüber.
Und: Tyrus steht für Tod an Jüdinnen und Juden.
Wenige Jahre, bevor Markus sein Evangelium schreibt, haben hier verheerende Pogrome stattgefunden: 4500 Jüdinnen und Juden wurden getötet, und die, die nicht getötet wurden, wurden gefangen genommen.

Dorthin, in diese Stadt, die mit so vielen Traumata belegt ist, lässt Markus Jesus wandern.
Allein. Allein in eine Stadt, die viel Leid ausgelöst hat und in der auch die eigene phönizische Bevölkerung Schlimmstes gesehen und miterlebt hat. Selbst traumatisiert ist.

Jesus betritt Tyrus und wir gehen mit in diese Stadt, die von Gewalt versehrt ist – klamm ums Herz. Und Jesus kehrt dort in ein Haus ein, leise. Er will seine Ruhe haben, will nicht öffentlich beten oder reden – vielleicht will er auch nicht erkannt werden – wir wissen es nicht genau – aber es gibt immer irgendjemanden, von dem mensch erkannt wird und der oder die es weiter erzählt. Und eine für uns namenlose Frau hört es. Sie ist Griechin, Syrophönizierin, gehört zur Täter-Bevölkerung. Ihr Kind ist krank. Ihre Tochter. Sie ist von einem unreinen Geist gefangen, wenig später heißt der unreine Geist: Dämon.
Ist es der Dämon der Gewalt, des Hasses, der Zerstörung und Vergewaltigung, des himmelschreienden Unrechts? Hat das Kind im Krieg so viel Schreckliches erlebt, mit angesehen, dass es jetzt wie gelähmt zu Hause im Bett liegt.
Dem Mädchen geht es schlecht. So schlecht, dass die Mutter alles auf eine Karte setzt: Sie nimmt all ihren Mut zusammen, kommt in Bewegung, erst innerlich. Spürt, wie tief ihre Verzweiflung ist und sucht Hilfe: Hilfe bei einem, der zu dem Volk gehört, dem so viel Leid angetan wurde.
Sie steht auf, und geht zu Jesus.
In das Haus, wo er allein sein will.
Da steht sie vor ihm und kann sich nicht mehr auf ihren Füßen halten, fällt vor Jesus nieder.
„Ich kann nicht mehr stehen, weiß nicht mehr aus noch ein. Ich brauche Hilfe! Mein Kind erstickt an dem Dämon der Gewalt. Befreie es!“

Und wir sehen sie vor uns: Wie sie mit ihrer Bitte ihre offene Wunde und ihren größten Wunsch Jesus entgegenhält – wie Eine, die hungert und um Brot bittet. Mit hingestreckten
offenen Händen.

„Jesus“, flüstert ihm eine von uns zu, “ich weiß, Du willst allein sein, ungestört an diesem schrecklichen Ort der Gewalt. Ich verstehe auch, dass Du das Schicksal dieser Frau und ihrer Tochter von Dir fern halten willst. Und Dir die hungernden und gewaltgeplagten jüdischen Kinder gerade näher sind. Doch: Sieh sie doch an, sieh, wie verzweifelt sie ist!“

Und Jesus —- Jesus antwortet ihr: „Lass erst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und es den kleinen Hunden hinzuwerfen.“

„Lass erst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und es den kleinen Hunden hinzuwerfen?!“
Herrscht denn ein Verteilungskampf zwischen Kindern und kleinen Hunden?
Ist das die Frage?: Wer darf sich zuerst satt essen?

Und die Frau hört erstaunt die Worte Jesu: Lass erst die Kinder gesättigt werden…
Und wir sehen, wie sie denkt:
„Das ist es, was ich wahrnehmen soll? Ich soll die anderen Kinder auch wahrnehmen? Und nicht nur die Not meines Kindes, meiner Tochter!?“
Und sie sucht nach Worten, richtet sich auf, auf Augenhöhe mit Jesus – und vor ihrem inneren Auge sieht sie die Not der vielen Kinder und ihr Herz weitet sich, gleichzeitig wird
sie noch mutiger und entschlossen.
Und sie streckt ihre Hand zu Jesus aus, gibt das Wort zurück und sagt: „Lehrer, auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrümeln der Kinder.“
Ja, die Kinder, sie teilen mit den Hunden unter dem Tisch das, was sie haben – und die Hunde kriegen was ab von den Krümeln, die auch ungewollt unter dem Tisch landen.

Alle Kinder leiden Not – und allen muss geholfen werden.
Die Antwort trifft Jesus ins Herz und sie trifft auch ins Herz seiner Botschaft:
Vor Gott sind alle gleich. Und: Alle sind Gottes Kinder.
Jesus streckt nun seinerseits seine Hand zu der Frau aus.
Ja, allen muss geholfen werden, denn alle sind Gottes Kinder.
Und sagt:

„Wegen dieser Antwort geh hin! Der Dämon hat deine Tochter freigegeben!“

Wegen dieser Antwort:
Wegen der Anerkennung des Leids aller Kinder, die Hunger leiden –
wegen der Sorge, wie die nächste Generation in Tyrus vom tödlichen Griff des Dämons befreit werden kann –
und wegen ihres Muts, Jesus an den Kern seiner eigenen Botschaft zu erinnern gibt der Dämon die Tochter frei.

Die Frau streckt sich und wendet sich ins Freie.
Ihre Füße bewegen sich nach Hause. Ihr Herz pocht.
Das Mädchen liegt auf dem Bett. Befreit.
Alles Weitere ist offen.