Der 11. Juli 2015 war ein Festtag. Der große Saal des Tagungshauses war erfüllt von Gelächter und Gesang, von Jubel und Applaus. Etwa 130 große und kleine Leute hatten sich aus Berlin-Reinickendorf, Brandenburg a. d. Havel, Falkensee, Fürstenwalde, Königs Wusterhausen, Rüdersdorf, Stahnsdorf und Wusterhausen nach Berlin-Charlottenburg auf den Weg gemacht. Sie alle wollten dabei sein, wenn es hieß: Du bist Junior.Bibel.Erzähler! Du bist Junior.Bibel.Erzählerin! 38 Kids im Alter von 10 bis 12 Jahren erhielten an diesem Tag mit einer Urkunde die Bestätigung für das, was ihnen durch das Projekt des vorangegangenen Halbjahres gelungen war: Das freie mündliche Erzählen von biblischen Geschichten.
Junior.Bibel.Erzählen ist ein Projekt, das in den Jahren 2014 bis 2015 von einem dreizehnköpfigen Team von Pädagog*innen und Theolog*nnen in der EKBO entwickelt und erprobt wurde. Junior.Bibel.Erzählen reiht sich ein in die lange mündliche Erzähltradition. Es ist ein Konzept, das die 10- bis 12-Jährigen als kompetente Bibeldeuter*innen ernst nimmt. Im Fokus der zwölf Kurseinheiten stehen die Auseinandersetzung der Kids mit biblischen Geschichten und die Förderung ihrer Sprach- und Erzählkompetenz. Den Abschluss des Kurses bildet die Präsentation der eigenen Erzählung in der Öffentlichkeit.
In Brandenburg a. d. Havel war die St. Gotthardtkirche der perfekte Ort für die Erzählpräsentation. Ein Stuhl, ein Tisch und eine Truhe, das sind die einzigen Erzählutensilien im Altarraum. Fünfzig Menschen haben auf den bereitgestellten Stühlen Platz genommen. Die Glocken erklingen und dann betreten die vier jungen Erzählerinnen die „Bühne“. Sie stellen sich vor. Sie erläutern das Programm. Musik erklingt. Dann beginnt die erste Erzählung und die Zuhörer/innen halten den Atem an. Aus der Perspektive eines kleinen Mädchens, das Augenzeugin einer wundersamen Begebenheit war, erzählt eine 11-Jährige die Geschichte von der Verklärung Jesu. Sie erzählt, was die Bibel erzählt und sie erzählt es auf ihre eigene Weise.
„Mitgefühl, Verantwortungsbereitschaft, Fantasie und so viel Lebensweisheit“ – mit diesen kurzen und beeindruckenden Worten beschreibt die Leiterin des Juniorteams am Gymnasium in Rüdersdorf die Arbeitsweise der Kids während des Projektes. Und sie bemerkt: „Eher stille, als laute Kids, sprangen über ihren Schatten und trauten sich etwas zu. Schließlich waren da kompetente Zuhörer*innen, die genau sagen konnten, warum die Erzählung spannend war oder was es noch zu verbessern gäbe. Sie wuchsen stolz über sich hinaus. Mit großem Respekt, mit Kritik und Anerkennung begegneten sie der Arbeit der anderen.“
Und wenn es nur Jungen in einer Gruppe wären? In Stahnsdorf schien das zunächst eine besondere Herausforderung für das Projekt zu sein. Durch die Ähnlichkeit der Bedürfnisse überwogen schließlich die Vorteile. Spiele und kreative Elemente des Kurses waren besonders beliebt. Die besonderen Momente – mit großer Offenheit und tiefgehenden Gedanken – waren die intensiven Phasen des Theologisierens. Alle Jungen wollten unbedingt erzählen. Mit Eifer waren sie dabei. Mit viel Fantasie erzählten sie kleine Geschichten zu Bildern. Was könnte diese Person erlebt haben? Wie könnte die Geschichte weiter gehen? Die Jungs übertrumpften sich gegenseitig. In der Endphase dann, als es um das Entwickeln der eigenen Geschichte ging, wurde es schwer. Fragen, Mühe, Sorgen, Lampenfieber – all das gehörte dazu. Die Eltern begleiteten nicht nur aufmerksam das Projekt, sondern unterstützten zudem die angehenden Erzähler in jeder Hinsicht. So gab es auch in Stahnsdorf stolze Erzähler und Eltern und andächtig zuhörende Geschwister.
Wissenschaftler/innen des Instituts für Soziologie der Technischen Universität Berlin haben die Praxisphase des Projektes begleitet. In ihrem Abschlussbericht stellen sie fest, dass die Entwicklung der Kompetenzen den mittelbaren Zugang zu Gott und zum christlichen Glauben beeinflusst. Empathie wir durch die Erfahrung in der Gemeinschaft gestärkt. Die Sprachfähigkeit im eigenen Glauben wird durch die Erzählkompetenz entwickelt. Und schließlich die Bestätigung der Erkenntnis, dass 10- bis 12-Jährigen bereits hochkompetente Experten ihrer eigenen Wirklichkeit sind, denn sie haben ein ausgesprochen gutes Empfinden dafür, welche angebotenen Fähigkeiten sich für sie als relevant erweisen. Sie nehmen sich, was sie brauchen. Aus dem Junior.Bibel.Erzählen, sagen sie, haben sie sich viel genommen.
Entwicklung eines Projektes und Erprobung eines Konzeptes sind nur der Anfang. Der Samen ist gelegt. Nun wachsen die Pflanzen. In Berlin-Kreuzberg und Berlin-Neukölln, in Fürstenwalde und in Bernau, in Potsdam, in Brandenburg a. d. Havel und anderen Orten gibt es bereits weitere Junior.Bibel.Erzähler/innen. Sie haben sich Texte erarbeitet, Figuren kennengelernt, innere Bilder entwickelt und nun erzählen sie. Sie erzählen und haben damit vor allen Dingen viel für sich selbst gewonnen. Sie erzählen und teilen damit auch an andere aus: an die Gleichaltrigen in der Schule, an die Jüngeren im Kindergottesdienst oder an die Senioren der Gemeinde.
Die Junior.Bibel.Erzähler*innen kommunizieren das Evangelium in ganz eigener Weise.
Was für ein Festtag.