Herzlich willkommen im neuen Jahr

Als junge Familie hatten wir eine Nachbarin: Gesangs- und Klavierlehrerin, alleinstehend, aktiv, immer unterwegs, manchmal hektisch, umtriebig. Und wir: Als Eltern rundum engagiert und beruflich eingebunden, drei kleine Kinder, kein Großelternumfeld, auf uns selbst gestellt. Manchmal ging es nicht anders: Klingeln bei der Nachbarin. Die Frage zurechtgelegt: „Können Sie vielleicht mal kurz …?“, „Haben Sie mal …?“ Und dann das: Kaum geklingelt, wurde von innen die Tür aufgerissen:

Kommen Sie rein, ich habe Zeit!

Das hat uns immer umgehauen. Und bis heute geht es uns nach. Vor wenigen Monaten ist sie gestorben. Im Alter von fast 97 Jahren. Da wurde die Erinnerung wieder ganz lebendig: „Kommen Sie rein, ich habe Zeit!“

Die Nachbarin von damals war natürlich nicht Jesus. Ganz klar. Aber die Jahreslosung 2022 erinnert mich an sie: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Das sagt hier Jesus. Er war unterwegs, hatte viel mit den Menschen zu tun. Und auch er brauchte einmal Ruhe, zog sich zurück. Aber die Menschen suchten ihn. Und bedrängten ihn dann mit ihren Fragen. „Was bist du für einer?“, „Bist du wirklich von Gott gesandt?“, „Kannst du uns nicht helfen?“, „Warum versteckst du dich?“, „Warum bist du so fern?“

Da sagt er zu den Leuten: Gott hat mich beauftragt, seinen Willen zu tun. Und das heißt: für euch da zu sein. Wer zu mir kommt, wird nicht abgewiesen, sondern findet eine offene Tür.

Wer zu mir kommt, wird nicht abgewiesen.

– wie wunderbar.

In einer Zeit, in der wir uns voreinander schützen müssen, wegen Corona: „Komm trotzdem, ich bin für dich da.“

In einer Gesellschaft, in der wir genau unterscheiden, wer zu wem passt, mit wem ich es zu tun haben will und mit wem nicht: „Komm trotzdem, ich will hören, wie es dir geht!“

In einer Welt, in der wir die Grenzen zugemacht haben. Wegen der Geflüchteten. Und der weltweiten Probleme. Klima, Krieg, Hunger … „Kommt trotzdem!  Haben wir nicht schon mal die Mauer zum Einstürzen gebracht? Hier sollt ihr leben dürfen!“

In einer Kirche, die ihre eigene Sprache hat. Die verliebt ist in ihren Glauben und ihre Geschichte. Die in der eigenen Wolke hängt: „Kommt ihr zu uns! Pikst die Blase auf! Bringt sie zum Platzen. Holt uns heraus!“ „Ja“, Jesus sagt: „Wer zu mir kommt, wird nicht abgewiesen“ – wie wunderbar.

Kommen Sie rein, ich habe Zeit.

Vielleicht würde Jesus das heute auch mit solchen Worten sagen. Zu Nachbarn, zu Geflüchteten. Zu Geimpften, Nicht-Geimpften, Genesenen. Zu Kranken und Pflegenden. Obdachlosen und Managern … Oder er sagt es sogar durch eine Nachbarin, durch eine Verkäuferin. Durch einen Arzt oder einen Altenpfleger. Manchmal sogar zu uns? Oder durch uns. Durch mich. Zur Nachbarin, zur Kollegin, zum (Nicht-)Geimpften …

Und dann merken wir gar nicht gleich, wie wir den Himmel einander öffnen. Den Himmel unter uns: Komm! Hier wirst du nicht abgewiesen. Ich habe Zeit! Friede sei mit dir. Amen.

Matthias Spenn, Direktor